Trend Haltungskorrigierende Kleidung – Warum Sie lieber Ihren Kopf gebrauchen sollten

 Auf meinen Info-Abenden zum Thema Faszien Therapie bin ich jetzt schon mehrmals auf das Thema „Haltungskorrigierende Kleidung“ angesprochen worden. Also Kleidung, die einen Rundrücken oder eine Kopf-Vorne Haltung korrigiert und dem Träger oder der Trägerin einen geraden Rücken verspricht.

Das entspricht auch der Herangehensweise vieler Menschen: Statt etwas für etwas zu tun, tun sie etwas dagegen. Man sieht das oft bei Ernährung: Statt sich gesund zu ernähren, kaufen die Menschen Diätpillen oder machen Detox-Kuren. Es ist halt immer so viel einfacher etwas zu kaufen, statt sich selber zu verändern. Wenn Fehlhaltungen wie Rundrücken und Kopf-Vorne-Position mit speziellen T-Shirts verbessert werden könnten, wie schön einfach wäre das Leben.

Tatsächlich gibt es drei Varianten dieser Idee, die aber letztlich alles das Gleiche bewirken:

Zunächst eine Art Rucksackgurt, nur ohne den Sack, der mit Riemen die Schultern zurückzieht und den Rücken durchdrücken soll. Dann sehr enge T-Shirts, die ähnlich wie kinesiologische Tapes funktionieren und den Rücken gerade halten sollen. Und letztlich auch elektronische Warngeräte, die einen Rundrücken erkennen und den Menschen warnen.

 

Leider beruht die Idee, man könne seine Haltung durch das Tragen von Funktionskleidung verbessern auf Denkfehlern, die den Trägern dieser Kleidung auf Dauer massive Probleme bereiten können.

 

Irrtum N°1: Haltung entsteht in den Muskeln

Immer wieder wird schlechte Körperhaltung den Muskeln in die Schuhe geschoben. Das ist schon ein wenig unfair, schließlich tun Muskeln nur das, was das Gehirn ihnen befiehlt. Das können Sie auch gleich ganz einfach an sich testen: Gucken Sie auf Ihren Handteller und beugen Sie explosionsartig Ihren Bizeps. Wenn Sie nun einen roten und leicht schmerzhaften Abdruck auf Ihrer Stirn bemerken, ist das mitnichten die Schuld Ihres Bizeps. Schuld ist Ihr Gehirn, das dem Bizeps einen so unsinnigen Befehl gegeben hat.

So verhält es sich mit allen Bewegungen und eben auch mit dem Rundrücken: Sie werden im Nervensystem vorgegeben und von der Muskulatur nur ausgeführt.

 

Richtige Bewegung und richtige Körperhaltung will daher gelernt, nicht trainiert sein.

 

Wenn also zum Beispiel ein Kind Fahrrad fahren lernt, dann geht es nicht darum, seine Beinmuskulatur zu stärken, sondern darum, im Nervensystem neue Muster anzulegen.

 

Man kann sich natürlich auch ein Leben lang nicht weiterentwickeln und noch mit 60 mit Stützrädern fahren. Und ebenso kann man sich natürlich auch als Erwachsener noch in Haltungskorrigierende Kleidung zwingen, weil man nie gelernt hat, richtig zu stehen und zu sitzen. Ob man das will, das muss jeder für sich entscheiden.

 

Irrtum N°2: Den Muskeln fehlt es für eine aufrechte Körperhaltung an Kraft

Es gibt immer noch Menschen, die glauben ein Rundrücken sei auf einen Mangel an Muskelkraft zurückzuführen. So kommt man dann auch zu der Annahme, der Rücken müssen zusätzlich gestützt werden. Auf den schönen Werbebildern sehen wir dann junge sportliche Menschen, die diese tollen T-Shirts tragen. Da darf man sich dann aber schon mal fragen, warum die Spezies Mensch so verkümmert sein sollte, dass sie schon im ersten Drittel ihres Lebens auf Krücken und Korsetts angewiesen ist, um sich einfach nur aufrecht halten zu können. Sind wir alle tatsächlich so degeneriert?

 

Tatsächlich hängt aber etwa der Rundrücken nur in den allerseltensten Fällen mit zu geringer Kraft im Rücken zusammen. Eher liegt es wie beschrieben am Gehirn. Die meisten Rundrücken entstehen durch Bewegungsmuster, die zu viel Spannung auf der Vorderseite, sprich in den Bauchmuskeln, erzeugen. Bei kleinen Kinder kann man in der Regel noch einen offenen Brustkorb und einen konvexen Bauch beobachten. Das geht nur mit tief entspannter Bauchmuskulatur.

 

Viele Erwachsene Menschen hingegen leiden unter viel zu hoher Anspannung im Bauch. Dieser beugt der Anatomie folgend den Rücken. Tut er das ständig, nennt man dies Rundrücken.  

 

Sie können das auch einfach testen, indem Sie sich einmal aufrecht und gelöst hinstellen. Halten Sie den Blick waagerecht auf Horizont und atmen tief und entspannt durch. Wenn Sie nun Ihre Aufmerksamkeit durch den Körper fließen lassen, werden Sie keinen Muskel finden, den Sie stärker anspannen könnten und der sie dabei besser aufrichten würde. Insbesondere eine starke Anspannung im Bauchmuskel zieht Sie nun in die Rundrückenposition und verschlechtert Ihr Atemmuster. Aufrechte Körperhaltung entsteht durch Entspannung. Sie bedarf im gesunden Menschen keinerlei Hilfsmittel.

Überhaupt darf man sich mal die Schizophrenie dieser Gedankenwelt bewusstmachen: Da gibt es Menschen, die empfehlen (angeblich) tagsüber ergonomische Stühle, haltungskorrigierende T-Shirts und am besten noch Einlagen. Alles Utensilien, die die Stützmuskulatur entlasten sollen. Die gleichen Menschen, denken aber der Rücken sei zu schwach, und man solle doch mit Physiotherapie oder Krafttraining die Rückenmuskulatur stärken.

Eigentlich ein tolles Geschäftsmodell: Erst kaufen Sie Kleidung und Möbel, die die Arbeit der Muskeln verringern und abends kaufen Sie dann noch ein Abo für den Fitnessclub um die gleichen Muskeln wiederaufzubauen. Da kann die Fastfood Industrie noch was lernen und Ihnen als Zusatz zum Extra-Fett Menu XXL gleich noch ein paar Schlankheitstabletten mitverkaufen.

 

Ein Rundrücken entsteht durch falsche Anspannung im gesamten Körper und insbesondere in den Bauchmuskeln!
Ein Rundrücken entsteht durch falsche Anspannung im gesamten Körper und insbesondere in den Bauchmuskeln!

 

Irrtum N°3: Der Rücken sollte gerade sein

Sie sind ein Mensch von Kopf bis Fuß. So sollen Sie sich wahrnehmen und auch bewegen. Daher kann es auch keine Rückenschule geben. Oder Spezialisten für die Füße oder Menschen die nur an der Wirbelsäule arbeiten. Da alle Körperteile miteinander verbunden sind, muss man auch immer den ganzen Menschen betrachten.

Schon alleine dies macht deutlich, dass man gesunde Körperhaltung nicht auf den Rücken reduzieren kann. Genaugenommen kann man auch den Rundrücken nicht auf den Rücken reduzieren. Denn wer den Rücken krümmt, der verändert auch die Position des Beckens. Dies verändert natürlich die Spannung in den Beinen, die ihrerseits auf Füssen ruhen. Wenn Sie einen Rundrücken haben, dann von Kopf bis Fuß. Da können Sie nun nicht ernsthaft meinen, einen krankhaften Rundrücken nur im Rücken beheben zu wollen.

 

Das Wichtigste aber haben wir noch gar nicht angesprochen: Ein Rundrücken ist genauso richtig und genauso falsch wie ein gerader Rücken. Die vierundzwanzig Wirbel der Wirbelsäule verbinden den Schädel mit dem Kreuzbein. Das macht fünfundzwanzig Gelenke. Wer kann denn annehmen, ihm wurden fünfundzwanzig Gelenke im Rücken gegeben, damit er diesen immer schön brav gerade und aufrecht hält?

Wer schon mal ein Bein oder einen Arm in Gips hatte, weiß wie es um die Kraft und Beweglichkeit des Körperteils bestellt ist, wenn dieses wochenlang schön gerade gehalten wird: Man fühlt sich schwach und steif.

Der Rücken soll aber nun den lieben langen Tag, während man diese tollen Hilfsmittel trägt, schön gerade gehalten werden? Sie sehen schon, da stimmt was nicht.

Alleine gelöstes Atmen bedingt eine entspannte Wirbelsäule, die bei der Atembewegung leicht mitschwingt. Aber eben nicht nur beim Atmen, die Wirbelsäule soll jede Bewegung im Körper begleiten. Diese ständige und vielseitige Bewegung hält sie gesund – nicht eine festzementierte Position.

Das können Sie auch ganz einfach bei Ihrem Katze beobachten. Der würden Sie auch nicht fürsorglich einen Streckverband anlegen, der dafür sorgt, dass ihre Wirbelsäule immer schön gerade bleibt. Wer seine Katze mal in Aktion betrachtet, der wird feststellen, dass der Rücken jeder Bewegung natürlich folgt. Da merkt man auch sofort, dass eine Position nicht besser ist als eine andere. Vielmehr geht es darum, dass alle Gelenke im Fluss bleiben und gemeinsam eine kohärente Bewegung erzeugen.

 

Insofern ist das Wort richtige Körperhaltung leider irreführend, da es suggeriert, es gäbe gesunde Positionen. Das ist aber sowohl im Sitzen, als auch im Stehen und sogar im Liegen falsch. Richtig ist, dass auch der menschliche Körper sich permanent bewegen und anpassen soll.

Von daher macht Sie ein Korsett, sei es in Form eines T-Shirts, eines Geschirrs oder Gurtes, oder eines Pieptons nur noch steifer. Aber keine Sorge, das nächste Gadget kommt bald!

 

Oder Sie machen es einfach so, wie alle anderen Tiere und bewegen sich gleich den ganzen Tag richtig. Dann brauchen Sie Ihr Geld nicht für unnütze Krücken und ihre Zeit nicht mit unnützen Übungen zu verschwenden. Das Schöne an einem leistungsfähigen Nervensystem ist auch, dass Sie es immer dabeihaben, während das T-Shirt vielleicht schon seit Jahren in der Schublade neben den anderen Kopfgeburten der Industrie liegt: Den Schuhen mit runden Sohlen und den Ski-Stöcken zum Gehen. Mögen Sie in Frieden auf dem Friedhof der Unwissenheit ruhen.

 

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